In Sorge um Kirtap...

Meine letzte Nacht war bedingt OK - im Wohnzimmer des Hostels wurde artig geraucht, gelacht und mir fremde Musik gehört, so dass ich den Schlaf erst spät gefunden habe  - obwohl ich mir meine Musik in die Ohren stöpselte. Der Rauch drang dann halt auch durch die Türe in mein Zimmer. Das gehört halt irgendwie auch mit dazu... Hatte heute Morgen Mühe, aus dem Bett zu kommen. Schliesslich war ich dann kurz vor 10 Uhr doch noch zum Checkout bereit... Somit war auch klar, dass ich es heute nicht bis Sofia schaffe. OK!

Habe an der Rezeption des Hostels - ein kleineres Büro habe ich noch nie gesehen :-)) - dann nach dem Weg in Richtung Pirot bzw. dem Grenzort Dimitrovgrad gefragt. Die Mitarbeiterin zeigte mit einem kleinen Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger, dass sie nur wenig Englisch spreche und kein Deutsch. OK - habe ihr die Karte gezeigt und erklärt, wohin ich will und dann den Stadtplan von Nis und dann war ihr klar, dass ich den besten Weg per Velo suche.

Sie erklärte, dass es nach Pirot keine Autobahn gibt (die ist auf meiner Karte auch als im Bau befindlich eingetragen). Und erklärt, dass es nur die auf meiner Karte in rot eingetragene Fernstrasse gibt, zeigt mit schlangenförmiger Armbewegung, dass es kurvig werde - aber kaum Steigung habe. OK - ich mag zwar solche Fernstrassen nicht aber hinter Pirot gibt es wieder eine gelbe Strasse, eine Nebenstrasse, wie ich sie die letzten Tage immer gefahren bin. Da muss ich nun halt durch...!

Ich bringe mein Gepäck runter und sattle Passpartu. Als ich das letzte Gepäckstück hole, ruft sie mich nochmals in die Reception. Sie hat ein Übersetzungsprogramm am PC offen und tippt serbisch, was ich dann englisch lesen kann. Sie schreibt mir, dass die Strasse nach Pirot gefährlich sei. Insbesondere mit dem Fahrrad. Ich müsse gut aufpassen, es habe viel LKW-Verkehr von und zur Grenze. Und da es noch keine Autobahn habe, würden die eben auf dieser Fernstrasse fahren.

Ich bedanke mich für diese Information und denke bzw. beschliesse: So wild kann das wohl nicht sein!!

Bevor ich mich aber auf ein solches Fernstrassen-Abenteuer einlasse, brauche ich Frühstück. Ich rolle zum zentralen Platz mit seinen Cafés und Bäckereien nahe des Hostels und bestelle mir da zuerst mal zwei Cappuccini und ein lecker gefülltes Brötchen. Die Mitarbeiterin der Bäckerei, welche die Cappuccini zubereitet, wirkt ungeübt im Umgang mit der Kolbenmaschine. Zum Schluss verblüfft sie mich aber massloss: Sie benetzt mit ihrer Zunge ihren Zeigefinger mit dem sie dann Kaffeepulver auftippt, welches  neben der Kaffeemühle liegt und dieses dann liebevoll über meine Kaffees dekorativ verstreut. Andere Länder - andere Sitten... Ich entferne dann die oberste Schicht Milchschaum, bevor ich die Kaffees trinke...

Passpartu steht schön parkiert an den Blumenkübeln, mit welchen der Sitzplatz des Cafés vom übrigen Platz abgetrennt ist. Er macht sich gut, mit seinen roten Taschen vor den in in schrillem Hellgrün angemalten Blumenkübeln...

Als ich nach dem Frühstück zu Passpartu gehe und losfahren will, spricht mich ein Mann auf bayrisch an und fragt, was ein Schweizer mit Fahrrad hier denn mache. Erkläre ihm, ich sei auf dem Weg nach Sofia.

Er meint, aber nicht etwa über die Fernstrasse nach Pirot? Ich antworte, genau das sei mein Plan! Er meint, komm lass uns einen Café trinken, ich muss Dir zur Strecke was sagen. Ich zögere - er insistiert - ich lenke eher widerwillig ein, denke, dass es auf diese 20 Minuten auch nicht mehr ankommt und willige halt zögerlich ein.

Wir gehen ein Café weiter, wo es lecker türkischen Café gibt. Er erklärt mir, er sei Fernfahrer und erzählt mir auch, warum er hier in Nis grad blockiert ist. Er stammt aus "Ex-Yugoslavien" und freut sich, mal wieder richtig Deutsch sprechen zu können. Er lebt seit einigen Jahren in Deutschland, kennt Bern und Thun sehr gut, aber auch Genf. In Thun hat er eine Freundin und er beschreibt mir sehr genau, wo diese in der Thuner Innenstadt wohnt. Aus seiner Beschreibung erkenne ich, dass er Thun wirklich gut kennen muss.

Dann äussert er wiederholt seine Bedenken, die von mir geplante Strecke mit dem Fahrrad zu fahren. Es sei eine sehr kurvenreiche, enge Strecke mit sehr viel LKW-Verkehr und Baustellen und unbeleuchteten Tunnels. Unübersichtlich. Daher für Fahrräder absolut ungeeignet und gefährlich. Er rät mir dringend davon ab, mit dem Fahrrad zu fahren. Besser soll ich den Zug oder den Bus nehmen und zwar grad bis nach Dimitrovgrad. Hm - ich will doch nicht schon wieder Bus oder Zug fahren...!

Er scheint die Gegend aber so gut zu kennen, dass ich ihm einfach glauben muss und es deckt sich ja auch mit der Information aus dem Hostel. Tja, was nun?'

Ich frage ihn, ob er den Fahrplan kenne und ob ich im Bus überhaupt das Fahrrad mitnehmen könne. Er kennt den Fahrplan nicht und weiss auch nicht, ob der Bus Fahrräder transportiert. Meint aber, in der Reiseagentur gleich über der Strasse könnten wir ja nachfragen. Das tun wir auch, nachdem ich noch ein lokales Fruchtgetränk trinken "musste", das mir sehr gut schmeckte - ich mir aber den Namen nicht merken konnte...

In der Reiseagentur steht ein Kunde am Schalter. Mein Begleiter fragt in das zwischen diesem Kunden und der Angestellten laufende Gespräch, ob man hier Busticktes kaufen könne und das Fahrrad mit in den Bus nehmen könne. Die Angestellte erklärt, dass sie Bustickets verkaufe , der nächste Bus in einer Stunde fahre, sie betr. Fahrrad aber keine Aussage machen könne. Der andere Kunde mischt sich ein, zückt sein Handy und ruft jemanden an - hängt ein und erklärt, er bekomme in ein, zwei Minuten einen Rückruf. Es komme darauf an, was für ein Bustyp um 12.30 Uhr fahre. Kurz darauf erfolgt der Rückruf, eine kurze Diskussion und die Antwort lautet: Alles klar!! Der Fahrer der um 12.30 nach Dimitrovgrad fährt ist informiert, dass ein Schweizer mit Fahrrad mitfahren wird. Ich staune BAUKLÖTZE!

Ich an der Stelle des anderen Kunden hätte mich sehr genervt, wenn da einfach zwei kommen und sich in das von mir geführte Gespräch einmischen - doch er hat sein Handy gezückt und organisiert. Wo gibt's den sowas??

Das Busticket ist schnell gekauft. Für meinen Begleiter braucht es noch ein Ticket, damit er mich auf das Gelände des Busbahnhofes begleiten darf.

Dann machen wir uns zu Fuss auf den Weg zum Busbahnhof, durch den Markt am Fort entlang.

Ich erfahre, dass mein Begleiter Aki heisst. Wir sprechen über sein und mein Leben, mein Reiseprojekt, etwas Politik, die Schweiz, Europa/EU und überhaupt...

Aki bewacht Passpartu, während ich noch schnell zur Toilette springe. Und schon steht mein Bus auf Perron 11. Der Chauffeur ist tatsächlich informiert und es gibt überhaupt gar keine Probleme, Passpartu in den Frachtraum zu verladen und mit den Velotaschen zu polstern.

Aki meint, ich soll dem Chauffeur für Gepäck inkl. Trinkgeld 500 Dinar bezahlen. Das Gepäck bezahlt man zusätzlich zum Fahrpreise, das habe ich breits auf meiner Tour von Zagreb nach Belgrad gelernt. Der Chauffeur interveniert und diskutiert mit Aki. Aki meint, ob ich noch 200 Dinar hätte. Ich interpretiere, der Chauffeur wolle 700 Dinar für Gepäck und Velo, was mich doch sehr viel dünken würde, wäre es doch fast so teuer wie die Fahrkarte. Aber NEIN! Der Chauffeur meint, 500 Dinar wäre zu viel. 200 Dinar wären angemessen. WOW! Andere hätten die 500 Dinar einfach eingesteckt...

Ich bedanke mich herzlich bei Aki, eine kurze Umarmung zum Abschied und los geht die Fahrt in Richtung Dimitrovgrad.

Die Fahrt dauert gute 3 Stunden und führt tatsächlich über eine enge, kurvenreiche Strecke, die von Baustellen (Autobahn-Zubringer etc.) und vielen kurzen aber zum Teil auch mehrere hundert Meter lange Tunnels gesäumt wird - allesamt unbeleuchtet. Die Strasse ist eng, führt durch eine Schlucht und es hat tatsächlich sehr viele LKWs unterwegs, die zum Teil unglaublich eng aufeinander fahren (Windschatten ausnutzen??). Die Dame im Hostel heute Morgen und Aki haben mich wohl gut beraten. OK - die Strecke wäre durchaus fahrbar gewesen, Passpartu hat eine sehr gute und funktionierende Lichtanlage, man hätte mich nicht übersehen können - die Strecke wäre aber einer der anspruchsvollsten Abschnitte bisher gewesen. Ich weiss, dass auf mich wohl noch anspruchsvollere Abschnitte warten werden. Wie auch immer.

Das Tal weitet sich einige Kilometer später zu einer breiten Ebene, in welcher Landwirtschaft betrieben wird. Im Hintergrund schneebedeckte Berge. Landschaftlich reizvoll. Die Äcker werden zum Teil von alten Menschen von Hand bestellt oder mit auf mich bescheiden wirkenden Maschinen bearbeitet. Die Gegend wirkt ärmlicher auf mich, als die Gegend vor Nis. Aber dennoch gepflegt.

In Dimitrovgrad hilft mir der Chauffeur, Passpartu und mein Gepäck auszuladen und verabschiedet sich mit einem kräftigen Händedruck, während er mir die linke Hand väterlich auf meine Schulter legt, persönlich von mir. So herzlich, richtig väterlich - wundervoll! Komme mir fast vor wie Bambi - dabei bin ich doch schon bald 50. Ob ich einen so verzweifelten Eindruck mache? NEIN - es ist ganz einfach serbische Gastfreundschaft!! Den Menschen ist es wichtig, dass es mir gut geht!!

Ich überlege mir, ob ich gleich die 62 Kilometer ab der Grenze nach Sofia unter die Räder nehmen soll - oder ob ich in Dimitrovgrad übernachten, einen mir wichtigen Brief und mein Tagebuch schreiben soll. Ich entscheide mich, morgen Früh loszufahren. Dann bin ich gegen Mittag/am frühen Nachmittag in Sofia. Das ist gut so.

Eine kostengünstige Unterkunft ist schnell gefunden. WiFi gibt es hier in jeder Cafeteria. Der Ort macht einen gepflegten Eindruck auf mich. Ich staune, dass es so viele Spielsalons gibt. Ob diese auch für Grenzgänger aus Bulgarien da sind? Die Spielsalons sind mir in ganz Serbien schon aufgefallen. Diese sind übrigens von aussen zwar gross angeschrieben - man kann aber keinen Blick nach Innen erhaschen. Alles blickdicht mit Werbung verklebt...! Diskretion!

Ich beschaffe mir Briefpapier und Briefumschlag - nicht in der gewünschten Qualität. Aber es ist halt vorhanden, was vorhanden ist. Froh zu sein bedarf es wenig...

Schreibe meinen Brief bei einem Cappuccino aus dem Beutel auf der Sonnenterrasse einer Cafeteria und bringe den Brief dann zur Post. Die Dame am Schalter beharrt darauf, dass ich einen Absender auf der Rückseite des Couverts anbringe. Hm - was nützt es, wenn ich für einen in die Schweiz adressierten Brief einen Absender in der Schweiz angebe? Ich habe hier ja keine Adresse...! Ordnung muss aber zwingend sein, ich notiere meine nicht mehr existente Adresse in Bern - ohne Wehmut Darüber bin ich grad so erstaunt wie froh. Dann fragt sie mich etwas, was ich wirklich nicht verstehe. Erst als sie ein Flugzeug mimt checke ich, dass ich zwischen Luft- und Landweg entscheiden soll. Da sie das Flugzeug so gut mimt, entscheide ich mich für Luftpost - witzig, diese Vielfalt der Zeichensprache >:-))!

Tja, heute wurde ich also fürsorglich umsorgt von Menschen, die sich um mich sorgten. Menschen, die ich noch nie gesehen habe und wohl in meinem ganzen Leben auch nie mehr sehen werde. Das ist wieder einmal mehr serbische Gastfreundschaft. OK Aki hatte Zeit, sich zu kümmern - und hat es auch genossen, mit jemandem mal wieder in gutem Deutsch plaudern zu können. Aber selbstverständlich ist das alles trotzdem nicht.

Und die Fügung, dass Aki und ich genau dann in der Reiseagentur stehen, wenn auch der andere Kunde da ist, der jemanden beim Busunternehmen kennt - unglaublich! TRÄUME ICH?? NEIN - es ist bisher meine Reiserealität!! Und ich hoffe natürlich, dass mich meine Schutzengel weiterhin so gut und treu begleiten und mich weiterhin auf so unglaubliche Fügungen treffen lassen... Vielen Dank, liebe Menschen hier in Serbien - und vielen Dank, liebe Schutzengel.

So unterwegs zu sein ist einfach nur wunderbar, erfüllt mich mit grosser Freude, Leichtigkeit und Lebendigkeit - nicht aber mit Übermut!!

Morgen bin ich drei Wochen unterwegs und sollte in Sofja eintreffen, wo es dann mal wieder ein Donnerstags-Apéro gibt :-))

Liebe und fröhliche Grüsse in die Welt hinaus - ich wünsche mir, dass es Euch auch so gut ergeht wie mir!!

Herzlich

Patrik Kirtap

 

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Ka. (Mittwoch, 22 April 2015 23:02)

    Lieber Patrik
    Ich freue mich täglich über deine eintragungen und dass es dir so gut geht.
    Gell es kommt gar nicht drauf an wie schnell man vorwärts kommt... All die wunderbaren begegnungen sind viel wichtiger.
    Ich persönlich glaube auch an die schutzengel...sie sind immer da, ganz still und leise.
    Ich schicke dir weiterhin so viel glück und du machst es soo gut!

    Nun wünsche ich dir eine gute nacht irgendwo...
    E liebe gruess ka.

  • #2

    Nikola (Mittwoch, 22 April 2015 23:12)

    Mann binn ich froh dass du so schoen durch Serbien durch bist. Eins musst du wissen. Je suedlicher du gehst sind die Menschen aermer und arbeitsloser. ABER, schein so zu sein dass ein zusammenhang zwischen dehm und der gastfreundschaft hatt. Die menschen werden je suedlicher du gehst auch netter ;) Schade dass du schon aus Serbien weg bist. Hoffe wenn du mahl wieder in der schweiz bist dich zu besuchen. Die Schweiz zu sehen. Auch ne Velotour machen. Ich kann auch im zelt schlafen :) Kein problem. Gruesse von Nikola, Jasmina und Ana. P.S. seit dehm tag als du hier warst binn ich in dehn augen meiner frau ein besserer mensch. Scheint so dass sie es erst nach 13 jahren raft hahaha

 

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