KIRTAP SCHIEBT  K  R  I  S  E - INDIENKRISE ...

Samstag 05. Dezember 2015

Liebe Alle

Wie ich schon berichtet habe, fordert Indien mich als Velofahrer extrem – sehr viel mehr, als es mich vor vier Jahren gefordert hat, als ich als Backpacker unterwegs war...

Im lauten und wegen des für mich - „diplomatisch ausgedrückt“ - ungewohnten Verkehrsverhaltens der Inder zuweilen auch nicht ganz ungefährlichen Verkehr mit all seinen stickigen, tiefschwarzen Abgaswolken, dem Staub und dem übrigen Dreck auf und entlang der Strassen bzw. in dieser so interessanten aber halt auch so völlig fremden und schwierig zu begreifenden Kultur alleine als Velofahrer unterwegs zu sein, ist heftig! – für mich!

Ein Bekannter, der Indien und Pakistan mit dem Motorrad bereiste, schrieb mir am Sonntag in einer E-Mail: „Wenn Du in diesen Kulturkreisen nicht aufgewachsen bist, dann raffst Du das nicht...“.  Da stimme ich gerne zu...! Und doch – oder gerade darum?! - hat Indien eben absolut seinen Reiz..!

Ja, nach der Ankunft in Varanasi merkte ich, wie heftig es für mich war, alleine auf Indiens Strassen unterwegs zu sein – ich war wirklich müde, erschöpft, als ich hier eingetroffen bin – und merkte das, als ich entspannen, ausschlafen konnte...!

Auf den Videos habe ich nur kurze Sequenzen von Strassenszenen eingefangen – das mag für Euch daheim ausschauen, als sei es „so schlimm nun auch wieder nicht!“. Ja, vielleicht ist es tatsächlich „so schlimm nun auch wieder nicht“ – es gibt genug Radler, die Indien bereist haben und sich wohl fühlten – oder es auf jeden Fall „geschafft haben“, ihre Indientour zu radeln... Mir geht es grad anders, ganz anders – und DAS zählt für mich!!

DENN: Wenn ich alleine mit dem Fahrrad unterwegs bin und vorwärts kommen will bzw. auch vormärts kommen muss, muss ich mich dem Verkehr bzw. dem Wahnsinn auf Indiens Strassen täglich 6-8 Stunden aussetzen inkl. Pausen – das habe ich echt unterschätzt - das zehrt unheimlich an meinen Nerven. Hinzu kommt, dass ich niemanden habe, mit dem ich mich in dieser Situation austauschen, der mal die Führung übernehmen könnte – ich muss alles alleine auf die Reihe bringen – was ich ja auch schaffe – nur beansprucht das meine „100%-rund-um-die-Uhr-Aufmerksamkeit“ voll und ganz – gefühlt über 100% - das macht mich müde, sehr müde...

Eine spannende Erfahrung, wie alleine – nein einsam! - ich unter so vielen Menschen sein kann, hier in Indien...

Zum Glück funktioniert meine SIM-Karte einwandfrei, so kann ich wenigstens mit Daheim in Kontakt bleiben – so hilft auch ein Telefongespräch mit meinem Gschbusi heute Abend sehr...

Also: What to do...?

Lange, intensiv und sehr sorgfältig habe ich heute nachgedacht. Das geht hier in Varanasi für mich ganz gut – sehr gut sogar! Es gibt verschiedene Cafés, wo ich im Getümmel und Gewimmel dieser niemals ruhenden Stadt meine Ruhe finden kann. In Varanasi werden ja rund um die Uhr Verstorbene offen am Ufer des Ganges verbrannt/kremiert. Die Verstorbenen sind in edle, bunte Tücher gekleidet und werden dann von ihren – meist ausschliesslich männlichen - Angehörigen sorgfältig auf den Scheiterhaufen gebettet, der dann eben angezündet wird... Die Kremationen gehören hier entlang des Ganges quasi so selbstverständlich zum Strassenbild, wie bei uns – hm, ja wie was? – wie bei uns wohl die Filiale eines Grossverteilers, ein Blumengeschäft, eine Bushaltestelle, ein Briefkasten oder ein Kiosk – alles ganz normal...  Fotografieren darf man die Verbrennungen nicht – was ich auch richtig finde – und ich Euch trotzdem gerne gezeigt hätte...

Entsprechend ist immer was los, in Varanasi: Allgemeiner indischer Lärm als konstanter Geräuschteppich, durch welchen immer wieder die auf mich beruhigend wirkenden monotonen Sing-Sang-Gesänge der Mönche dringen, helle Glockenschläge vom Tempel, welche über die Dächer und durch die schmalen Gassen der Altstadt hallen, das dumpfe, rhythmische und damit irgendwie auch beruhigende Knattern der Motoren der Boote, die langsam und von schreienden Möven begleitet über den still vor Varanasis Altstadt liegenden Ganges gleiten und Touristen oder Pilger transportieren, das Hupen des Zuges, der die Brücke über den Ganges passiert, die irgendwo im Nebel-Smog-Gemisch, das hier permanent über der Stadt liegt, den Fluss ausserhalb der Altstadt überquert, der Lärm der Affen, die – ebenfalls rund um die Uhr! - miteinander spielen, flüchten, weil sie von Hausbewohnern verjagt werden oder sich auch mal selber jagen und dabei in einer enormen Geschwindigkeit und beeindruckend flink über Hausfassaden klettern und von Haus zu Haus springen – die kennen nichts, die Affen, rein gar nichts und rütteln nachts schon auch mal heftig am Gitter, welches ihnen den Zugang zum Balkon meines Zimmers mit Blick auf den Ganges verwehrt...

Ja Varanasi ist intensiv – und: Mir scheint, der viele Drecke in der Stadt sei der Kitt, der Varanasi schlussendlich zusammen halte...

In dieser Geräuschkulisse, diesem Gewimmel und Getümmel kann ich in der ruhigeren Altstadt also gut meine Ruhe finden, habe Boden. Das ist sehr gut so! Bei frischem Fruchtlassi oder einem Massaletee (Gewürztee), einem Pancake mit Salat von frischen, exotischen Früchten oder auch mal bei einem Eisbecher (mein Magen erträgt zwischenzeitlich sogar Eis in Indien...) kann ich in dieser Umgebung wunderbar tagträumen, meinen Gedanken nachhängen, fast etwas meditieren – mindestens so gut, wie mir das früher in der Schule zwischen den Pausen auch immer sehr gut gelungen ist...

Ja, ich schiebe hier meine Indienkrise – meine erste Reisekrise - will in Indien nicht mehr alleine Velofahren, hier nicht mehr reisen – will nicht nach Bangkok fliegen – will flüchten - nur raus hier, auch wenn ich kein Star bin –...  Doch: Wohin mit mir, wie komme ich von welcher "Fluchtdestination" dann wieder weiter etc...

Das WiFi dreht so langsam, dass ich kaum Flüge checken kann – mein Pa erledigt das für mich. Für mich einen Flug zu kriegen ist ja kaum je ein Problem – aber welche Fluggesellschaft nimmt Passpartu zu welchen Bedingungen mit – der Preis ist mir zwar grad so richtig egal – einfach nur weg hier... Nicht aus Varansi – aus Indien – und der Verzicht auf Myanmar ist auch grad OK! Das meine Stimmung, meine Krise... Hätte ich nicht besser - wie ursprünglich geplant - nach Hanoi fliegen sollen, statt nach Varanasi zu radeln? NEIN, diese Entscheid war schon richtig - ich bin um Erfahrungen reicher... Bin froh, glücklich, Katahmandu - Varanasi geradelt zu sein - eine Stecke, die zwei für mich magische Ort miteinander verbindet...

Sonntag, 06. Dezember 2015

Heute habe ich nochmals lange und sorgfältig abgewogen, was für mich nun der richtige Weg für meine Weiterreise sein könnte. Myanmar zu opfern reut mich sehr!! Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit mir – habe ich mich entschieden morgen Montag meinen Flug nach Bangkok zu buchen für Freitag der gleichen Woche und bis dahin Passpartu reisefertig zu machen! Es schmerzt und doch fühlt es sich gut und richtig an - befreiend...!

Dann melden sich Karin und Fritz per WhatsApp unerwartet und grad im richtigen Moment - ihnen habe ich mitgeteilt, dass ich wohl nach Bangkok fliege und nicht mit ihnen durch Myanmar reise, da ich Indien nicht mehr aushalten würde... Sie können meine Stimmung nachvollziehen...

Nach einem fröhlichem WhatsApp-Austausch mit Karin und Fritz habe ich mich am Abend (um)-entschieden: Am Dienstag fahre ich mit einem Taxi nach Siliguri. Das ist die teuerste aller Lösungen – aber ich habe überhaupt keinen Bock mit dem Bus oder Zug zu reisen. Die Busreise würde ewig dauern und bedeuten: 3x umsteigen - mit meiner Haushaltung nich vorstellbar, aktuell für mich nicht leistbar! 25 Kilometer ausserhalb Varanasi könnte ich einen direkten Zug nach Siliguri besteigen – der dann aber mindestens 18 Stunden unterwegs wäre – das mag ich mir nicht zumuten, in meiner Stimmng... Somit heuere ich über ein Reisebüro gleich neben dem Guesthouse einen privaten Driver an. Siliguri liegt in Westbengalen (südlich von Nepal - nördlich von Bangladesh, da wo Indien ganz schmal ist). Dort werde ich erst am Mittwoch ankommen, weil die 800 Kilometer Distanz eben nicht schneller zu schaffen sein sollen im Auto – Ankunftszeit am Mittwoch offen, hängt halt alles von vielen Faktoren ab, auf den Strassen Indiens kann es immer wieder viele Überraschungen geben... Karin und Fritz treffen am Mittwoch - von Nepal her kommend - ebenfalls in Siliguri ein, wir steigen im gleichen Hotel ab, so können wir uns nicht verfehlen... Ab Donnerstag fahre ich mit ihnen weiter – sie haben auch schon eine Route mit Abstecher nach Darjiling ausgeheckt – wird sicher schön... Wunderbar, schlicht unbezahlbar solche Radlerfreunde zu haben und sich - Smartphone sei Dank - so gut abstimmen zu können! Es war ja vorgesehen, dass ich Karin und Fritz später in Imphal treffe – bin ich froh, können wir uns schon viel früher treffen. DANKE!! Alles begann ja im Juni 2015 in einem Guesthouse in Shiraz/Iran, wo ich die beiden zum ersten Mal getroffen habe, zum zweiten Mal in Osh und nun in Indien - das Übergeordnete...

Voraussichtlich am 03. Januar 2016 werden wir in Myanmar einreisen – und spätestens 28 Tage später in Thailand, wo ich dann maximal 60 Tage bleiben darf und diese wohl auch ausschöpfen werde, Ferien vom Reisen mache, im Cottage unter Palmen,  bevor ich Malaysia besuche (und da nochmals ins Hochland möchte...) und dann Singapur erreiche.

Von Singapur aus werde ich dann – nach aktuellem Stand der Dinge – meine vierte Reise auf meiner „Route de soi“ antreten – darüber zu berichten ist aber nun noch zu früh – und doch, wer zwischen den Zeilen lesen kann, hat vielleicht schon eine Idee, was mir vorschwebt...- bleibt dran... – ich tue es auch...

Mit dem Schreiben von Postkarten bin ich in Verzug - war dazu in Varanasi nicht "in der Lage"... - aber sie kommen, die Postkarten - vielleicht halt erst aus Thailand ode Malaysia - sie kommen...!

Geschmeichelt hat mir, dass ehemalige Arbeitskolleginnen offenbar in der Kaffeepause festgestellt haben, ich sei auf der Reise "schöner" geworden - bald bin ich wohl kitschig... - und K., ich habe sie auf dem Pamir getroffen und habe höchste Achtung vor dieser jungen Frau, die nach ihrem "Projekt Pamir" ganz spontan mit ihrem Fahrrad nach China aufgebrochen ist, welches sie bald in Richtung Südostasien verlassen wird, in einem WhatsApp Austausch sagte, meine langen Haare würden mich jünger aussehen lassen... So behalte ich mein Geschtrüpp noch etwas auf dem Kopf - abgeschnitten sind die Haare schneller, als sie nachwachsen... Probleme habe ich... Somit kann es um mich in meiner Indienkrise wohl nicht soooo dramatisch stehen - und doch war es eine echt mühsame Zeit, die auch viel Energie kostete - die erste wirkliche Krise auf der Reise - sie musste ja mal kommen - und wer weiss, wozu sie gut war... Auch das steht halt auf dem Lehrplan der Lebensschule bzw. meiner Weiterbildung "Sozial- und Selbst-kompetenz im interkulturellen Kontext"!!!

Montag, 07. Dezember 2015

Heute nochmals ausgeschlafen, Wäsche gewaschen, Zelt gepackt, ohne Erfolg versucht eine Strassenkarte von Indien zu bekommen, da ich meine verloren habe (...!), dafür auf dem Weg durch die Neustadt in einen riesigen Haufen Kuhscheisse getreten und darin mit meinem Badeschlarpen fast zu Fall gekommen - ihr mögt nun lachen - ich fand es gar nicht lustig - einfach nur EKELHAFT!!!, weil ich die Augen auf die Shops und nicht auf die Kuhfladen gerichtet hatte, Passpartu am Ganges mit heiligem Wasser aus dem heiligen Fluss gewaschen - das hat er sich mehr als nur verdient! - er war soooo staubig von der Reise ab Kathmandu, zum Barber, ein Andenkenanhänger für mein Ketteli gesucht und gefunden (ich möchte ja aus jedem Land min. einen Anhänger an mein Ketteli hängen - wobei Nepal mit drei Stück übervertreten ist - ...), nochmals meinen Entscheid überprüft und den Krisenblog fertig geschrieben - nun schon bald fertig packen, morgen Früh um 06.30 Uhr muss ich mit Passpartu samt Sack und Pack vor dem Reisebüro stehen - dann bringt mich der Besitzer zum Taxi, welches mich dann nach Siliguri bringt... Ich bin gespannt auf diese Fahrt - wird sicher indisch - wozu bin ich sonst in Indien...

Herzlich in die Welt hinaus

Patrik Kirtap

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Kommentare: 1
  • #1

    Verena Z. (Mittwoch, 09 Dezember 2015 21:06)

    Hallo Patrik
    Die Reise geht weiter - der Weg entsteht im gehen (bei dir im fahren)..... Guten Mut und ich freue mich auf weitere Berichte.
    Liebe Grüsse, Verena Z.

 

23. JUNI 2016

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04. März 2016 aus Bang Sapahn