WO BITTE IST HIER DIE SCHLECHTE STRASSE...?

Liebe Alle!
Heiligabend in Silchar - im indischen Bundesstaat Assam. Heute vor einem Jahr habe ich im Kreise meiner Familie Weihnachten gefeiert und wir alle fragten uns damals, wo ich wohl in einem Jahr sein würde - Indien war damals kein Thema. Nun sitze ich in Indien, einem riesig grossen Land, in welches ich vor knapp einem Monat engereist bin und das ich seither nicht besser verstehe - eher weniger. Wie kann ein Land, welches sich hier im Norden so präsentiert, eine Atommacht sein? Ich staune und wundere mich auf Schritt und Tritt...

Viel denke ich darüber nach, welche Faktoren wohl zum Erfolg eines Landes beitragen und warum "entwickelte Länder" sich meist im nördlichen Teil der Erde befinden - ich denke, es hat ganz viel mit Aufklärung bzw. Säkularisierung zu tun. Und doch darf ich wohl nicht werten - und doch frage ich mich, welcher Zukunft Indien als Nation entgegen steuert...

Ich erlebe hier nicht das "geheimnisvolle, farbige von Düften und Gewürzen geprägte Indien" - ich erlebe hier ein "Alltags-Indien", welches mich eher an "Endzeit" erinnert, wo Menschen sich an einem kleinen Abfallfeuer am Abend wärmen, wo im "noblen Hotel" auch die frischen Bettbezüge, die wir gestern verlangt und bekommen haben, so verfleckt sind, dass es eklig ist - was für Flecken da drauf sind, wollen wir lieber gar nicht erst wissen... Hauptsache das Land ist eine Atommacht - dann spielt alles andere offenbar keine Rolle... Ich kann das schlecht einordnen... - bin vielleicht deshalb auch ungerecht... Subjektive Wahrnehmung...

 

Ich bin sehr froh, heute Abend mit Karin und Fritz zusammen sein zu dürfen. Wir wünschten uns ein gutes Hotel für heute Abend, damit wir mit starkem WiFi hätten skypen und anschliessend noch "Weihnachten bei Hoppenstetds" mit Loriot hätten anschauen können. Hm - ... Es kam etwas anders, aber auch gut... Auch heute alles der Reihe nach...

 

Seit wir vor einigen Tagen in Guwahati losgefahren sind, haben wir viele Höhenmeter zurückgelegt. Die Gegend wurde tatsächlich fies hügelig, bergig...

Auf der knapp 100 km langen Fahrt von Guwahati nach Shillong haben wir auf den letzten 70 Km 1900 Höhenmeter erstrampelt, sind erst im Dunkeln in Shillong angekommen und hatten Mühe ein Zimmer zu finden. Shillong schien zudem mehrheitlich aus Autohäusern und Läden zu bestehen - sogar einen richtigen "Body Shop" gibt es dort... Alle grossen internationalen Automarken sind mit ebenso grossen Autohäusern - wie ich sie aus der Schweiz kenne - vertreten. Wer hat hier soooo vieeeel Geld, um all diese teuren Produkte zu kaufen??

Im steilen Aufstieg hielt Karin - als Wolfsburgerin Ehrensache - bei der VW-Vertretung an und fragte mal nach, ob wir allenfalls in den Lokalitäten von VW übernachten könnten. Ging leider nicht. Dann fanden wir ein erstes Hotel. Karin und ich haben die Zimmer besichtigt und mussten sagen: NEIN DANKE! Die Zimmer waren... Die Toiletten waren noch viel ... Die Lichtschalter zur Toilette eklig schmierig - und Licht gab es wohl aus bestimmten Gründen besser auch nicht in diesen kleinen Abteilen...

Dann bekamen wir in einem anderen Hotel ein "anständiges" Doppelzimmer, wo wir zu dritt haben drinn hausen können - was für ein Glück, war es doch das letzte freie Zimmer des Hauses... Die Velos fanden in einem grossen Abstellraum ihren Platz, wo es nachts 8 Grad warm war - es ist kühl hier oben auf gut 1200 müM...!! Ich schlief also Karin und Fritz zu Füssen auf meiner Luftmatratze - war herrlich - wenigstens ein Dach über dem Kopf. Campen ist in Indien ja nicht angesagt.  Das sei sogar für Einheimische zu gefährlich, hat uns der Honda-Töff-Händler in Guwahati ermahnt! Er war es auch, der uns - wie div. andere Inder auch - gesagt hat, dass es viel zu viele Inder geben würde - und dann zeigte er uns voller Stolz die Fotos seiner beiden Jungs. Ich fragte dann nicht, ob die auch zu viel wären...

Unser Ziel war, heute Heiligabend in Silchar anzukommen, wo wir  auf ein gutes Hotel hofften, welches wir uns zu Weihnachten leisten wollten, zumal Silchar eine grosse moderne Stadt sein soll... Tragfähiges WiFi, damit wir blogen und skypen können - meine illegale SIM-Karte hilft mal wieder aus - weil hier WiFi kaum funktioniert - Hauptsache Atommacht...

Hinter Shillong fanden wir vorgestern unerwartet eine Unterkunft im Nirgendwo, an einem künstlichen See. Das war sehr schön und angenehm. Wir wussten, dass es auf den 170 Km bis Silchar ab diesem Punkt kaum mehr ein Hotel geben wird und wir zählten darauf, unterwegs schon etwas zu finden - zählten auch darauf, dass wir in einer der vielen christlichen Kirchen in dieser Gegend übernachten dürften, wenn alle Stricke reissen sollten - oder halt sonst doch campen müssten...

So sind wir dann also mal losgeradelt und beim späten Mittagessen in einer "Truckerkneipe" erklärte uns der Wirt, dass in ca. 35 km eine grosse Kirche käme, in welcher wir sicher übernachten dürften - denn vor Silchar, welches wir eben erst am nächsten Tagen erreichen konnten, käme keine Unterkunft mehr! Er bestätigte uns also, was wir schon wussten bzw. befürchtet haben...

Wir haben dann die grose Kirche gefunden - es handelte sich um eine grosse Klosterschule mit 1300 Schülern. Die "Internen" sind aktuell auf Weihnachtsurlaub - so stehen viele Betten im "Hostel für Schüler" frei und der Pater hat uns spontan erlaubt, im Hostel zu übernachten. Der Schlafsaal für die Klosterschüler ist sehr einfach gehalten. Es gibt Stockbetten - aber keinen einzigen Schrank. Die Klosterschüler besitzen wohl nichts, was nicht auf oder unter dem Bett Platz findet...

Wir konnten uns in der Toilette des Paters waschen - mit kaltem Wasser - aber immerhin. So nach einem Tag auf staubigen indischen Strassen tut etwas Wasser schon SEHR GUT! Die Benutzung der anderen Toiletten wurde uns von den wenigen anwesenden Schülern nicht empfohlen, die wären zu dreckig. Ich fragte dann einen Schüler, ob denn niemand diese Toiletten putzen würde. Oh doch, aber erst nach den Weihnachtsferien, wenn die Internen wieder da wären. Oh NEIN, die aktuell Anwesenden würden solches Arbeit nicht ausführen. - Wahnsinn, da nutzt man lieber versiefte Toiletten - Kastendenken?!

Beim Abendessen in einem Restaurant im Dorf schien uns, der ganze Ort wisse schon, dass drei Velofahrer in der Schule übernachten - und es wurde uns erklärt, die Strasse auf dem Weg nach Silchar werde noch schlechter, als wir sie heute gegen Schluss der Etappe erlebt haben. Das konnten wir uns kaum vorstellen!

Da uns der Sinn noch nach einem Bier stand, haben wir den Wine Shop des Ortes gesucht. Alkohol wird in diesem Teil Indiens - selbst in christlichen Gegenden - nicht "offen" verkauft.  Man muss in den Wine Shop gehen, wo einem Bier oder auch härtere Sachen durch ein dickes Gitter verkauft werden. Der Wine Shop hier war sehr gut versteckt - wir haben ihn kaum gefunden. Hinter der grossen Brücke mussten wir einen schmalen, dunklen Weg durch die Häuser gehen bis zum kleinen Fluss - diesen mussten wir auf einer "gebastelten" Brücke aus Holz und mit Sand gefüllten Cementsäcken überqueren - balancierend! - und dann fanden wir am Waldrand in einem kaum beleuchteten Haus den Wine Shop. Es wirkte schon alles etwas "abenteuerlich", "mafiös" auf mich, so im Dunkeln in der hinersten Ecke des Ortes - quasi auf Abwegen - ein Bier zu kaufen...

Nach einer guten Nacht haben wir dann am nächsten Morgen unsere Räder früh gesattelt, haben uns vom Pater und den jungen Männern verabschiedet, welche die Weihnachtsferien der Schule  intern verbringen und sich uns gegenüber sehr fürsorglich gezeigt haben. Eine Spende für die Übernachtung hat der Pater abgelehnt.

Dann fuhren wir los - und fragten uns bald nach der Abfahrt auf den zum Teil mühsam steilen Aufstiegen, wo denn hier bitteschön eine schlechte Strasse sein soll - denn:

ES WAR GAR KEINE STRASSE MEHR DA über weite Teile... - oder für uns Europäer wohl einfach nicht zu erkennen - so sind wir der "Piste" oder halt der Sand- und Staubspur gefolgt, auf der auch die vielen Trucks unterwegs waren... Dass Passpartu da auch leidet, seht Ihr im Bilderbuch Indien 2. Ich bin sehr dankbar, dass Fritz handwerklich so begabt ist und mich unterstützt - alleine wäre ich wohl spätestens beim Kettenriss ausgefedert...

Passpartu hat ja seit dem Taxitransport Probleme mit der Gangschaltung - ich kann die kleinsten Gäng nicht mehr nutzen - es scheint, der Wechsler sei verbogen... So strample ich halt höchstens im zweitkleinsten Gang die Schlaglochpiste hoch, welche Einheimisch hier einfach als schlechte Strasse bezeichnen. Europäer würden es als Zumutung bezeichnen, zumal sich über diese Piste unzählige und schwer beladene Trucks kämpfen, sich gegenseitig im Wege stehen, viel Staub aufwirbeln, einen Fahrstil haben, den ich als halsbrecherisch bezeichnen muss und sich über drei komische Velofahrer wundern... Ich frage mich immer wieder, ob diese Fahrer überhaupt jemals eine Fahrschule besucht haben - oder ob alles "Autodidakten" sind - ja, das Wort Autodidakt bekommt für mich im indischen Strassenverkehr eine sehr neue und doppelsinnige Bedeutung...

Bei einer Pause meint Karin, sie hätte doch keine Wüstendurchquerung gebucht - fühle sich aber so, bei all dem Staub und Sand auf der "Strasse" und in der Luft...

Wir erreichen Silchar am frühen Nachmittag und finden auch ein Unterkunft, wo wir WiFi in der Lobby nutzen können - bis maximal 23 Uhr am Abend - danach wird das WiFi ausgeschaltet - sofern das Netz nicht schon früher zusammenbricht. Ordnung muss sein. Die Gegend hier ist wieder muslimisch geprägt. Christlich und muslimisch geprägte Gegenden wechseln sich hier auf kurzer Distanz ab.

Während Fritz und ich die angepeilte Unterkunft prüfen, hütet Karin am Strassenrand die Velos. Als Fritz und ich zurück kommen schlage ich die Hände vor dem Gesicht zusammen und sage nur "OH MEIN GOTT!!" - Fritz meint: "So was habe ich befürchtet!!"....:

Ein Menschenauflauf präsentiert sich uns. Irgendwo in diesem Pulk von neugierigen Indern müsste Karin und drei Fahrräder stecken... Karin und die Fahrräder mutierten schlagartig zu DEM EREIGNIS in der Stadt - und gleichzeitig zum Verkehrshindernis...

Solche Situation auszuhalten gehört dazu, wenn man Indien auf eigene Faust bereisen will - ich habe es so ähnlich vor dem General Post Office in Guwahati erlebt...

Heiligabend verbringen Karin, Fritz und ich  gemeinsam. Unsere Idee, in einem schönen Restaurant gepflegt essen zu gehen, lässt sich nicht realisieren. Entweder können wir nur Vegi essen und haben doch so grosse Lust auf Hähnchen oder Ente - oder das Restaurant präsentiert wohl eine grosse Karte hat aber kaum was vorrätig. Schlussendlich landen wir in einer Bar - also einem Restaurant, wo auch Alkohol ausgeschenkt wird. Die Lokalität scheint uns trotz einer gewissen Schummrigkeit angemessen für Heiligabend und wir essen Lecker Hähnchen, Pommes, Salat und Gemüse - wir haben einen schönen Abend mit ernsthaften Diskussionen und lachen auch viel. Nach dem Essen ziehen wir uns noch ins Zimmer zurück - essen  Schokolade (es gibt lecker Schokolade in Indien...!!) und Chips und geniessen noch einen Schluck Bier und plaudern viel. Ein schöner Abend im Kreis von lieben Freunden. Danke liebe Karin und lieber Fritz!!

Am 26. Dezember 2015 wollen wir weiter in Richtung Imphal - zwischen Silchar und  Imphal soll es wieder nichts geben - davon aber ganz viel. Wir werden schon eine Unterkunft finden - irgendwie gibt es immer einen Weg...

Betreffend Myanmar sieht es aktuell so gut aus, wie schon lange nicht mehr. Die zweite Agentur, die wir kontaktiert haben, will uns das Permit per 10. Januar 2016 beschaffen - wir haben einen Expresszuschlag offeriert, den sie auch angenommen haben - anders will ich das hier nicht bezeichnen... Hauptsache, es funktioniert. Wir werden unsere Route durch Myanmar wohl etwas kürzen müssen - aber es kommt gut - denken wir mal...

Herzlich in die Welt hinaus - FROHE WEIHNACHTEN UND HAPPY NEW YEAR - BLEIBT GESUND UND EUREN TRÄUMEN TREU!!!

Patrik Kirtap

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