Liebe Alle
Mittwoch 04. Mai 2016
Ich verbringe einmal mehr einen wunderbaren Tag auf dem Fahrrad. Die Sonne scheint, die Landschaft gefällt mir sehr, das Terrain hat nicht zu viel Steigung, kein Gegenwind – und zum Schluss geht es sogar deutlich bergab. Das lässt in der Nähe der Pyrenäen zwar nichts Gutes ahnen – denn: Die Höhe, die ich vor den Pyrenäen verliere, muss ich mir auf dem Weg nach Andorra hoch ja wieder erarbeiten – aber das hat noch Zeit. Und die Steigung nach Andorra ist offenbar gar nicht so dramatisch. Das „Steigungsdrama“ fängt erst auf dem Weg von Andorra nach Perpignan an – da muss ich mich dann zuerst kräftig „hochkurbeln“ um über den Pass zu kommen, bevor ich die flotte Schussfahrt nach Perpignan runter an die Côte Vermeille und dort an den Strand geniessen kann. Aber wie gesagt: Das hat noch Zeit!
Mein Tagesziel Tudela erreiche ich bereits kurz nach 16 Uhr – ich kam wirklich flott voran! Die Strasse verlor sich zwar 2x mehr für einen Abschnitt von je rund 2 Kilometern auf der Autobahn – aber es kam zum Glück keine Polizei, so dass ich beide Abschnitte problemlos auf der Autobahn zurücklegen konnte...
Ich verstehe diese Logik einfach nicht, dass eine Hauptstrasse plötzlich Autobahn wird - und dann einige Kilometer weiter wieder Hauptstrasse – aber ich muss ja nicht alles verstehen – auch wenn ich als Radfahrer eben gerne eine Hauptstrasse oder sonstige Ausweichrouten hätte – doch wer bekommt schon alles, was er sich wünscht...
Tudela als Städtchen überrascht mich mit seinem sehr schönen "Plaza Mayor" - dem Hauptplatz, um den jedes Städtchen hier in Spanien gebaut zu sein scheint - und den schmalen Altstadtgässchen.
Um diese Uhrzeit gibt es in den Restaurants aber noch „nichts“ zu essen – ausser Tapas... Nachdem mein gröbster Hunger mit Tapas gestillt ist, mache ich mich hinter die Planung der Route nach Andorra. Ab Tudela ist das nämlich etwas schwieriger, wie mir scheint. Denn: Ich will nicht nach Zaragoza rein – fragt mich nicht warum – ich will nicht - es ist einfach so... Obwohl Zaragoza auf der Strassenkarte die logische Richtung wäre... Also muss ich Zaragoza umfahren. Ich finde eine Route, die mir auf der Karte sehr gut gefällt und sogar noch Optionen offen lässt und die Steigungen vertretbar erscheinen lässt.
Ausgehungert gehe ich möglichst früh zum Abendessen...: 20.30 Uhr, früher öffnen die Küchen der Restaurants nicht. Auf einen Salat als Vorspeise verzichte ich, da ein solcher mindestens 9 Euro 50 kosten würde!!! Hallo??? Die Ravioli an Baumnuss-Gorgonzolasauce schmecken auch ohne Salat extrem lecker – liegen aber ebenso extrem schwer wie ein Klumpen in meinem Bauch. Ich finde den Schlaf nicht...
Donnerstag, 05. Mai 2016
Im Tiefschlaf, den ich in den frühen Morgenstunden endlich doch noch gefunden habe, höre ich gaaaaanz weit weg den Handywecker klingeln – schalte ihn aus – und komme erst um 08.30 Uhr zufällig wieder zu mir – dabei wollte ich um 07.00 Uhr zum Frühstück... Mist!! Jetzt aber schnell, schnell – ich wollte zeitig starten, da wiederum gute 100 km nach Ayerbe auf dem Programm stehen... Die Route zwar nicht bergig aber hügelig. Daher genug Zeit eingeplant – Zeit, die ich nun verpennt habe... Ärgerlich...
Das Frühstück ist lecker – ein wunderbares Buffet – ja, ich bin mal wieder etwas „edler“ abgestiegen - und geniesse ein "richtiges" Frühstück - meist besteht dieses in den Bars ja nur aus einem Stück Toast, Butter und Marmelade und einer Tasse Kaffee. Sie haben es nicht so mit dem Frühstück, die Südländer...
Erst kurz nach 10 Uhr komme ich los. Sandy weist mir den Weg aus dem Städtchen – mal wieder verkehrt durch die Einbahnstrassen, was aber kein Problem ist, ich kann immer auf dem Gehsteig fahren...
Dann fahre ich durch die wunderschöne Gegend. Kaum Verkehr.
ABER:
BRUTAL BRUTALER GEGENWIND!!
HEFTIGSTER GEGENWIND.
Stürmischer Gegenwind.
Er kommt wirklich frontal von vorne und mir ist sofort klar: Da die Strasse gerade durch die Landschaft verläuft, wird sich das im Verlauf des Tages auch nicht ändern – ausser der Wind hörte zu blasen auf – was er aber nicht zu tun im Sinn hat, wie sich herausstellen wird. Ich kämpfe echt. Ich kämpfe hart!! Gestern hat mir der junge Mann an der Rezeption noch empfohlen, nur 45 Kilometer bis ins erste grössere Örtchen zu fahren – Ejea de los Caballeros, ein wirklich spanischer Name...! - und dort zu übernachten. Aber für 45 Kilometer stehe ich am Morgen doch nicht auf – NEIN, ich fahre täglich mindestens 90 Kilometer – wer bin ich denn?!?! Das mein Entscheid im "Grössenwahn" des gestrigen erfolgreichen Tages...
Ich entscheide also, nach Ayerbe zu fahren – trotz GEGENWIND– also nochmals 56 Kilometer weiter, als mir der Herr von der Rezeption als Tagesprogramm empfohlen hat. Ca. 20 Kilometer hinter Ejea frage ich mich, ob das so eine gute Idee war, wirklich nach Ayerbe zu fahren, ob ich nicht umdrehen soll. Doch ich entscheide: Ich ziehe es durch und fahre nach Ayerbe – und wenn ich erst bei Dunkelheit ankomme - sonst habe ich mich ja die letzten 20 Km für nix abgemüht und muss diese 20 Km am nächsten Morgen nochmals machen - nein, nein, nein...
Kurz vor Ayerbe, welches ich erst um 18.40 Uhr erreiche, fühle ich mich wirklich am Limit – am Limit meiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit – der Wind geht mir heftig auf die Nerven und an die Kondition - so erschöpft fühlte ich mich selbst auf dem Pamir nie...
Die Tatsache, dass die Vuelta 2015 über die gleiche Strasse gerollt ist wie Passpartu und ich aktuell rollen, motiviert mich auch nicht besonders und hilft mir auch nicht gegen den Gegenwind. Doch vor Ayerbe kommt keine gescheite Ortschaft, wo ich übernachten könnte, wildes campen ist im Naturschutzgebiet hier verboten!
Dann überraschend: In einem Industriegebiet ein Restaurant, wo ich etwas kleines esse, trinke und das WiFi nutzen darf – und ein 20stelliges Passwort eingeben musste. Das längste Passwort, welches mir bei all den unzähligen WiFis, welche ich unterwegs genutzt habe, je begegnet ist.
Wie gesagt: Der Wind hat mir wirklich den letzten Nerv geraubt – selbst die wenigen Abfahrten, die ich auf der Strecke hatte, hat er mir zu einem Stück schwerer Arbeit gemacht. Ich bin sehr froh, in Ayerbe eine Unterkunft zu finden, zu duschen, mit der Schweiz zu kommunizieren – und dann ab zum Nachtessen. Zuerst hatte ich die Idee, hier zwei Nächte zu bleiben – aber Ayerbe ist ein Kaff – ich will also am Freitag weiter – mal schauen, wie weit ich komme – es gibt verschiedene Optionen auf dem Weg – ich bin nach wie vor gut im Zeitplan – also NO STRESS!!
Freitag, 06. Mai 2016
Ich habe einigermassen gut geschlafen und erwache mit Beinen, so schwer wie Blei und einer Nase, die sich sehr nach aufkommender Erkältung anfühlt. Mir ist schlagartig klar: Heute ist ein Ruhetag angesagt. Und den geniesse ich mit ausschlafen. Ich schaue dem stürmischen Wind zu, der die Bäume und Strassenlampen hier heftig hin und her bewegt – und mir in meiner Fahrtrichtung wiederum voll ins Gesicht geblasen hätte. Gut entschieden! Nun gilt es zu hoffen, dass der Sturm die vorhergesagte Regenfront vertreibt - diese Hoffnung zerschlägt sich, während ich die Fotos hochlade. Es regnet... Ob der Wind sich in dennächsten Tage ruhig verhalten oder mir als Rückenwind dienen wird? Was macht der Regen? Theoretisch könnte ich in vier Tagen in Andorra sein – theoretisch. Gemäss Wetterbericht dürfte diese Theorie aber Theorie bleiben, zumal Wind mit bis 32 km/h vorhergesagt wird – und wenn der von vorne kommt, könnt Ihr Euch vorstellen, wie hart ich strampeln muss, um vorwärts zu kommen - mehr als 33 km/h oder so - ich mag da nicht genauer drüber nachdenken...
Aber wie gesagt: Ich bin nach wie vor gut im Zeitplan...!
Vom Winde verweht – aber zufrieden! - in die Welt hinaus
Patrik Kirtap
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